SAFe Scrum und die Entkernung des agilen Mindsets: Eine sachliche Analyse

Wenn ein Framework das agile Arbeiten so weit „strukturiert“, dass kaum Raum für echte Iteration bleibt, wird es Zeit, genauer hinzusehen. Der Begriff „agil“ ist vielerorts noch präsent, doch die zugrundeliegende Praxis gleicht immer seltener dem, was einst als agiles Mindset gedacht war. SAFe steht dabei exemplarisch für diese Entwicklung.

Problem: Agile in der Umklammerung administrativer Systeme

In vielen Unternehmen ist „Agile“ heute nicht mehr als ein neues Etikett auf alten Steuerungsmodellen. Der ursprünglich aus der Softwareentwicklung stammende Versuch, Komplexität iterativ und empirisch zu beherrschen, wurde in zahlreichen Fällen überlagert von administrativen Denkschulen, insbesondere aus dem mittleren Management.

Das Ergebnis ist ein systematischer Bedeutungswandel: Selbstorganisation wird zum Mittel, um Verantwortung nach unten zu delegieren, ohne reale Entscheidungsspielräume zu geben. Transparenz wird zur Kontrolle, nicht zur Erkenntnis. Und empirisches Vorgehen wird durch vorgegebene „Best Practices“ ersetzt.

Kontext & Analyse: Die Entwicklung von Agile hin zu SAFe

Agile entstand 2001 mit dem „Manifesto for Agile Software Development“. Die dort formulierten Werte waren bewusst gegen klassische BWL-getriebene Projektsteuerung gerichtet: Interaktion statt Prozesse, funktionierende Software statt Dokumentation, Zusammenarbeit statt Vertragsverhandlung, Reagieren statt Planbefolgen.

Frameworks wie Scrum oder XP übernahmen diese Haltung in strukturierter Form. Doch mit dem Wachstum der agilen Bewegung entstand Druck, diese Konzepte in großen Organisationen zu skalieren. So entstand unter anderem SAFe (Scaled Agile Framework), das heute in vielen Konzernen eingesetzt wird.

SAFe bringt ein strukturiertes Rollenmodell, Planungszyklen, Synchronisation über „Agile Release Trains“ und umfangreiche Artefakte mit sich. Die offizielle Dokumentation beschreibt dies als „Lean-Agile approach at enterprise scale“ (scaledagileframework.com).

Doch Kritiker wie Robert C. Martin und Dave Farley weisen darauf hin, dass dieser Ansatz in der Praxis oft zu einer Re-Administrierung führt, die den eigentlichen Kern agiler Methoden entwertet (Clean Agile, 2019; Modern Software Engineering, 2022).

Zentrale Kritikpunkte sind unter anderem, dass durch Planungsdogmen ein faktisches Experimentierverbot entsteht, da anstelle iterativer Entwicklung die Planung auf Programmebene dominiert. Teams sollen sich selbst steuern, jedoch innerhalb enger Vorgaben und unter Beobachtung von Personen mit formaler Entscheidungsmacht. Der Begriff „PO“ ersetzt zwar formal den Projektleiter, ändert jedoch nichts an der zugrundeliegenden Machtausübung. Darüber hinaus entsteht durch zahlreiche Rollen und Meetings ein Bild von Agilität, das empirisch kaum wirksam wird, sondern vielmehr Komplexität simuliert.

Diese Phänomene werden unter dem Begriff Dark Agile diskutiert: Ein Zustand, in dem die Terminologie agiler Methoden beibehalten wird, ihre Prinzipien aber ausgehöhlt sind.

Optionen & Einsichten: Rückkehr zum empirischen Arbeiten

Unternehmen, die weiterhin vom agilen Denken profitieren wollen, müssen sich weniger mit Frameworks als mit Denkmodellen auseinandersetzen. Zentral ist dabei, dass Entscheidungen auf Basis von Hypothesenbildung, Experimenten und gemessenen Ergebnissen getroffen werden. Auch nicht-technische Rollen sollten Grundprinzipien wissenschaftlicher Arbeitsweise verinnerlichen, etwa die systematische Beobachtung, die saubere Ableitung von Maßnahmen sowie die Offenheit für Korrektur. Das erfordert eine andere Haltung gegenüber Fehlern und Unsicherheit – eine Haltung, die eher im Engineering als in administrativen Routinen zu finden ist.

Amazon bezeichnet diesen Modus als Truth Seeking Mode. Andere Unternehmen sprechen von Evidence-Based Management. Dabei ist der Begriff „Agile“ nicht zwingend erforderlich. Ein Wording, das stärker auf das zugrundeliegende Prinzip verweist, könnte hilfreich sein – etwa durch Begriffe wie Empirical Thinking, Empirical Management, Empirical Decision Making oder Empirical Development. Diese Terminologie legt den Fokus dort hin, wo Agile ursprünglich ansetzen wollte: auf ein Denken in Hypothesen, Lernen und systematischer Verbesserung.

Ausblick: Die Zukunft liegt nicht in Frameworks, sondern in Prinzipien

Ob Agile, Lean, Scrum oder SAFe: Keines dieser Modelle kann nachhaltige Ergebnisse liefern, wenn sie nicht auf einem geteilten Verständnis für empirisches Arbeiten beruhen. Derzeit ist zu beobachten, dass viele Organisationen bei ausbleibendem Erfolg nicht das Framework hinterfragen, sondern „Agile“ pauschal abschreiben.

Wer das vermeiden will, sollte jetzt investieren: in Aufklärung, in methodisches Training, in kritisches Denken. Und in die Bereitschaft, Verantwortung nicht nur umzubenennen, sondern tatsächlich zu teilen.

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