Die Diskussion um die 4-Tage-Woche prägt seit einiger Zeit die arbeits- und wirtschaftspolitischen Debatten. Sie weckt Erwartungen nach Entlastung, mehr Work-Life-Balance und einer neuen Qualität der Arbeit. Doch jenseits normativer Wünsche stellt sich eine nüchterne Frage: Ist die 4-Tage-Woche unter den aktuellen ökonomischen Rahmenbedingungen überhaupt tragfähig? Eine einfache Rechnung legt nahe, dass diese Debatte verfrüht geführt wird.
Problem: Produktivitätslücke
Weniger Arbeitstage bedeuten bei unveränderter Produktivität pro Stunde ein Minus von rund 20 Prozent an Arbeitszeit. Bei einer regulären Fünf-Tage-Woche entspricht ein Arbeitstag etwa einem Fünftel der Arbeitszeit. Wird dieser gestrichen, sinkt das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen spürbar. Um das Bruttoinlandsprodukt konstant zu halten, müsste die Produktivität pro Stunde folglich um rund 25 Prozent steigen. Diese Zahl markiert den Kern des Problems: Ohne diesen Zuwachs bleibt die 4-Tage-Woche ein ökonomisches Defizitprogramm.
Die entscheidende Frage lautet daher: Woher soll dieser Produktivitätszuwachs kommen? Und wie realistisch ist es, ihn in einem überschaubaren Zeitraum zu erreichen?
Kontext & Analyse
Ein Blick auf die aktuellen Studien zu Digitalisierung, Automatisierung und Gen-AI liefert eine vorsichtige Antwort. Je nach Sektor werden Produktivitätssteigerungen von 0,5 bis 3,4 Prozentpunkten pro Jahr prognostiziert. Diese Bandbreite zeigt zwei Dinge: Erstens gibt es Potenzial, um Produktivitätslücken zu schließen. Zweitens sind diese Steigerungen nicht selbstverständlich, sondern abhängig von konsequenter Umsetzung und breiter Skalierung.
Die Sektoren unterscheiden sich erheblich. In der Industrie lassen sich durch Automatisierung und datenbasierte Prozessoptimierungen vergleichsweise hohe Zuwächse erzielen. Im Dienstleistungssektor sind die Hebel kleinteiliger und schwerer zu standardisieren. Verwaltung und öffentlicher Sektor wiederum sind durch komplexe Strukturen und häufig auch durch regulatorische Vorgaben gebremst. Dort liegt zwar enormes Potenzial, doch die Geschwindigkeit der Umsetzung ist begrenzt.
Eine weitere Dimension ist die Verteilung der Effekte. Produktivitätssteigerungen treten nicht gleichmäßig auf, sondern konzentrieren sich auf bestimmte Branchen und Tätigkeiten. Gen-AI kann in Wissensarbeit erhebliche Effizienzgewinne ermöglichen, doch in personenbezogenen Dienstleistungen wie Pflege oder Erziehung bleiben die Effekte begrenzt. Damit ergibt sich ein gesamtwirtschaftliches Problem: Einzelne Sektoren können die fehlenden Produktivitätszuwächse anderer nicht vollständig kompensieren.
Optionen und Einsichten
Wenn die 4-Tage-Woche mittelfristig realisierbar sein soll, müssen mehrere Bedingungen erfüllt werden.
Erstens erfordert sie eine massive Beschleunigung von Digitalisierungsprogrammen. Prozesse müssen automatisiert, Schnittstellen standardisiert und Verwaltungsaufwände reduziert werden. Ohne diese Grundlagen bleibt Produktivitätssteigerung fragmentarisch. Zweitens braucht es klare Priorisierung. Gerade im Mittelstand werden digitale Investitionen oft als Kostenfaktor betrachtet, nicht als strategische Notwendigkeit. Ein Umdenken ist erforderlich: Produktivität ist nicht nur eine betriebliche Kennzahl, sondern die Bedingung für makroökonomische Tragfähigkeit. Drittens muss der Dienstleistungssektor stärker in den Fokus rücken. Hier entscheidet sich, ob Produktivität in Breite und Alltag wirkt oder ob sie nur in einzelnen Industrien sichtbar bleibt.
Das bedeutet: Die Debatte um die 4-Tage-Woche ist weniger eine Frage der Arbeitsorganisation als eine Frage der Digitalisierungsfähigkeit. Wer den Weg zur 4-Tage-Woche ernsthaft beschreiten will, muss die Grundlagen schaffen, die Produktivität im zweistelligen Bereich steigen lassen. Dazu gehört auch, Hürden abzubauen – von unflexiblen Arbeitszeitgesetzen bis zu langsamen Genehmigungsverfahren in der öffentlichen Verwaltung.
Zudem sollten Unternehmen und Politik realistische Zeitachsen kommunizieren. Ein Produktivitätszuwachs von 25 Prozent lässt sich nicht in wenigen Jahren erreichen, wenn die durchschnittlichen Zuwachsraten im niedrigen einstelligen Bereich liegen. Es braucht langfristige Strategien, die auf kumulierte Effekte setzen. Mit jährlichen Steigerungen von zwei bis drei Prozentpunkten ist das Ziel erreichbar – aber erst in einem Zeithorizont von einer bis eineinhalb Jahrzehnten.
Manifest der Realität
Die eigentliche Frage lautet daher nicht, ob die 4-Tage-Woche wünschenswert ist. Sie ist es, zweifellos. Der Wunsch nach Entlastung und besserer Vereinbarkeit von Arbeit und Leben ist legitim und gesellschaftlich nachvollziehbar. Doch die ökonomische Realität lässt sich nicht durch normative Zustimmung überwinden. Der entscheidende Punkt ist, wie wir den Sprung von der heutigen Realität hin zu den erforderlichen +25 Prozent schaffen.
Ein Manifest realistischer Arbeitszeitpolitik könnte lauten:
- Wir wollen die 4-Tage-Woche, aber wir akzeptieren, dass sie Investitionen erfordert.
- Wir erkennen an, dass Produktivität die Schlüsselgröße ist, nicht allein der Arbeitszeitumfang.
- Wir setzen auf Digitalisierung, Automatisierung und KI – nicht als Zusatz, sondern als Bedingung.
- Wir benennen klare Zeitachsen und vermeiden politische Kurzschlüsse.
Dieses Manifest würde die Debatte versachlichen und den Blick von der normativen Ebene auf die strukturellen Voraussetzungen lenken.
Ausblick
Bis dahin bleibt die 4-Tage-Woche ein Konzept, das mehr über unsere Sehnsucht nach Entlastung verrät als über die reale Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft. Die Diskussion sollte daher nicht darum kreisen, ob wir vier Tage arbeiten wollen, sondern wie wir die Produktivitätsbasis schaffen, die es ermöglicht. Erst wenn wir diese Basis gelegt haben, wird die 4-Tage-Woche mehr sein als ein Wunschbild. Sie kann dann als Ausdruck einer reifen Arbeitsgesellschaft gelten, die technologische Möglichkeiten nutzt und ökonomische Stabilität sichert.