Ich stand vor ihnen mit dem Schlüssel in der Hand – und doch sahen sie nur das Schloss und schüttelten den Kopf. IT-Infrastruktur und Energiewirtschaft haben keine Gemeinsamkeiten? Aber voll: Systeme wie virtuelle Kraftwerke und Techniken aus der Virtualisierung für Cloudsysteme folgen denselben Grundprinzipien. Sie orchestrieren verteilte Ressourcen, passen sich an Bedarfe an und skalieren automatisch.
Der Punkt ist, dass die Energiewirtschaft gerade das Rad neu erfindet. So fühlt es sich zumindest an. Ich bin immer wieder Erstaunt dass viele etwas für unmöglich halten, was seit zwanzig Jahren zum Grundlagenwissen jedes Informatikstudenten im zweiten Semester gehört.
Nur so wird Dezentralität praktikabel: Durch digitale Energieorchestrierung wird aus einer Vielzahl einzelner Erzeuger und Verbraucher ein robustes Gesamtsystem. Der Vorteil liegt in der Resilienz gegenüber Ausfällen, der Effizienz bei schwankender Nachfrage und der Möglichkeit, kleinteilige Infrastruktur wirtschaftlich tragfähig zu betreiben.
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Problem: Warum klassische Energieinfrastruktur nicht mehr reicht
Die Energiewende bringt eine fundamentale Verschiebung in der Infrastruktur mit sich: Weg von zentralen Kraftwerken, hin zu verteilten Erzeugern, Speichern und Verbrauchern. Diese Systeme lassen sich mit manuellen Eingriffen nicht mehr effizient steuern.
- Das Netz wird volatiler
- Der Verbrauch wird kleinteiliger
- Der Steuerungsbedarf steigt
Ohne digitale Lösungen, die in Nanosekunden die Ressourcenverteilung steuern, droht nicht nur Ineffizienz – es ist gar nicht manuell machbar. Für Versorger, Betreiber, aber auch für institutionelle Investoren drohen also – ganz wie in der Digitalisierung – Berater, Dienstleister und Engineeringteams, die statt bekannte und gut erprobte Lösungen zu adaptieren, das Rad neu erfinden. Und damit alle Kinderkrankheiten, die Nutzer vergrezen
Das ist in der jüngeren, deutschen Ingenieursgeschichte ja mehr als einmal vorgekommen: Die Automobilhesteller hätten die Möglichkeiten, die User Interfaces und moderne User Experience
Was ist ein virtuelles Kraftwerk
Ein virtuelles Kraftwerk ist kein Gebäude aus Beton und Stahl, sondern eine Idee – eine digitale Klammer, die viele kleine, verstreute Energiequellen zu einem großen Ganzen zusammenfasst. Windräder an der Küste, Solarmodule auf Hausdächern im Süden, ein Batteriespeicher in einem Gewerbegebiet, eine Biogasanlage neben einem Bauernhof – all das bleibt physisch voneinander getrennt, wird aber virtuell verbunden, über eine Softwareplattform, die diese Anlagen überwacht, steuert und koordiniert. In Echtzeit fließen Daten zusammen: Wetterprognosen, aktuelle Einspeiseleistungen, Ladezustände, Netzlasten. Was auf den ersten Blick wie ein Flickenteppich dezentraler Stromproduktion wirkt, verwandelt sich unter der Oberfläche in ein fein orchestriertes System.
Die Plattform berechnet im Nanosekundentakt, wer wann wie viel Strom einspeisen oder verbrauchen soll. Nicht nur, um möglichst effizient zu arbeiten, sondern auch, um auf die ständig schwankenden Anforderungen des Stromnetzes zu reagieren – oder auf die Preise an der Strombörse. Die Biogasanlage kann gezielt hochgefahren werden, wenn eine Windflaute bevorsteht, ein Batteriespeicher entlädt sich, wenn die Sonne hinter Wolken verschwindet. So entsteht aus vielen kleinen Unsicherheiten eine überraschende Stabilität.
Und nochmal: Das passiert täglich, nanosekundlich, seit Jahrzehnten
Was früher Großkraftwerken vorbehalten war, wird heute von Algorithmen übernommen: das Gleichgewicht im Netz zu sichern, Angebot und Nachfrage in Einklang zu bringen, Schwankungen auszugleichen, bevor sie spürbar werden. Das virtuelle Kraftwerk ist damit nicht nur ein technisches Konzept – es ist ein neues Narrativ der Energieversorgung: nicht zentral, sondern vernetzt; nicht monolithisch, sondern modular; nicht statisch, sondern lernfähig. Und vielleicht ist gerade das sein größter Fortschritt.
Wie skalierbare Energie funktioniert: Verteilte Systeme, zentral orchestriert
Cloud-Plattformen wie AWS oder Azure bestehen aus zehntausenden Servern. Virtuelle Kraftwerke bestehen aus zehntausenden dezentralen Assets: PV-Anlagen, Batteriespeicher, steuerbare Verbraucher.
Autoscaling durch datenbasierte Steuerung: In der Cloud werden Instanzen automatisch hoch- und heruntergefahren. Im Energiesystem lässt sich genauso automatisiert laden, entladen, puffern oder abschalten. Entscheidend ist nicht die Hardware, sondern die Regelintelligenz.
Prognosebasierte Optimierung
Forecasts, wie man sie in der Cloud für Auslastung verwendet, finden ihre Entsprechung in Wetterdaten, Lastprognosen oder Strompreisindikatoren. Moderne Steuerzentralen beziehen diese Daten automatisiert ein.
Nur mal als Gedanke: Wenn man da noch predictive Analytics – also KI, die in die Zukunft denken kann und heute schon bessere Wettermodelle ermöglicht, als es die Standardmodelle seit Jahrzenten tun.
Orchestrierung statt Einzelsteuerung
In der IT hat man gelernt, dass man Instanzen nicht einzeln steuern kann. Man orchestriert. In der Energie ist das ähnlich: Systeme wie EOS oder proprietäre Leitsysteme koordinieren Stromflüsse, Speicherverhalten und Reaktionszeiten.
EOS ist ein quelloffenes Steuerungssystem, das speziell für dezentrale Energiesysteme entwickelt wurde. Es ermöglicht die intelligente Koordination von Erzeugung, Speicherung und Verbrauch auf Basis aktueller Daten und vordefinierter Regeln. Durch die Offenheit des Systems lassen sich individuelle Anforderungen flexibel integrieren.
Einsichten aus der Praxis: Was wir bei Solar Estate gelernt haben
Für unseren Kunden Solar Estate haben wir ein System entworfen, das die komplexe Betriebslogik von Photovoltaikanlagen in eine digitale Struktur überführt. Eigentumsverhältnisse, Verträge, Ertragsdaten, Wartungszyklen – all das wird nicht mehr manuell verwaltet, sondern fließt in einem integrierten System zusammen. Messwerte und Dokumente, Benachrichtigungen und Investorenberichte – sie greifen ineinander wie Zahnräder in einem still laufenden Uhrwerk.
Das Entscheidende dabei ist nicht die Digitalisierung an sich, sondern ihr Grad an Durchdringung: Die Prozesse steuern sich weitgehend selbst, Personalaufwand sinkt, menschliche Fehler werden zur Randerscheinung, und das, was früher in Excel-Tabellen versteckt war, wird sichtbar – für Betreiber ebenso wie für Kapitalgeber.
Die Architektur, die hinter diesem System steht, hat sich bewährt. Heute setzen wir sie auch dort ein, wo die Anforderungen ähnlich sind: bei Stadtwerken, die ihre dezentralen Anlagen intelligenter verknüpfen wollen, oder bei Betreibern von Quartierspeichern, die nach Effizienz suchen – nicht als Schlagwort, sondern als messbare Praxis.
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt
In vielen Teilen der Energiebranche zeigen sich die Spuren der Geschichte. Systeme, die einst für einzelne Anlagen oder Regionen gebaut wurden, stoßen heute an ihre Grenzen. Sie waren nicht dafür gedacht, zu wachsen – nicht über mehrere Standorte hinweg, nicht mit individuell zugeschnittenen Tarifen, und schon gar nicht in einer Welt, in der Speicher, Netze und Verbraucher automatisch miteinander verhandeln. Doch genau das wird zur Voraussetzung: Skalierung ist kein technischer Luxus mehr, sondern ein struktureller Imperativ.
Die gute Nachricht: Die Mittel, um diese Systeme weiterzudenken, existieren längst. Konzepte aus der modernen IT – modulare Architekturen, offene Schnittstellen, erprobte Open-Source-Werkzeuge – lassen sich auf die Energieinfrastruktur übertragen. Was in der Cloud-Industrie längst Standard ist, beginnt nun, auch im Energiesektor seine Form zu finden. Es geht nicht darum, alles neu zu bauen – sondern Bestehendes so zu öffnen, dass es sich bewegen kann.
Einladung
Wenn Sie aktuell an einem Projekt arbeiten, das wachsen soll – und sich fragen, wie das ohne mehr Personal funktionieren kann: Schreiben Sie uns.
Wir bringen unsere Erfahrungen aus Forschung und Umsetzung ein. Und zeigen, wie sich Energie skalieren lässt.
Nicht mit mehr Technik. Sondern mit mehr Intelligenz.