America’s AI Action Plan: Zusammenfassung und europäische Perspektive

Der amerikanische AI Action Plan ist ein umfassendes Regierungsprogramm, das die technologische Führung der USA im Bereich Künstliche Intelligenz sichern soll. Schon in der Einleitung wird deutlich: Es geht um globale Dominanz, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und nationale Sicherheit. Drei Pfeiler strukturieren den Plan: Beschleunigung von Innovation, Aufbau von Infrastruktur und internationale Diplomatie und Sicherheit. Die Strategie ist auf Geschwindigkeit, Deregulierung und enge Verzahnung von Industrie und Regierung ausgerichtet.

Für europäische Unternehmen stellt sich damit nicht nur die Frage, wie sie auf diese Dynamik reagieren, sondern auch, ob sie sich weiterhin auf politische Rahmenbedingungen verlassen können oder selbst die wirtschaftlichen Impulse setzen müssen, um Politik und Regulierung in eine innovationsfreundlichere Richtung zu bewegen.

Pfeiler I: Beschleunigung von Innovation

Der erste Pfeiler setzt auf weitgehende Deregulierung, um private Investitionen und schnelle Markteintritte zu fördern. Inhalte sind u. a.:

  • Abbau regulatorischer Hürden und Einschränkungen bei Bundesprogrammen
  • Stärkung von Meinungsfreiheit und ideologiefreien Modellen in öffentlichen Beschaffungen
  • Unterstützung von Open-Source- und Open-Weight-Modellen als Innovationsmotor und geopolitisches Instrument
  • Förderung der KI-Adoption durch Pilotprojekte, Standards und branchenspezifische Testumgebungen
  • Programme für KI-Weiterbildung, Umschulung und den Erhalt von Arbeitsplätzen
  • Investitionen in KI-unterstützte Wissenschaft, hochwertige Datensätze und Grundlagenforschung
  • Aufbau von Evaluations- und Testumgebungen für KI-Systeme
  • Beschleunigter Einsatz von KI in Bundesbehörden und im Verteidigungsministerium
  • Schutz geistigen Eigentums und Bekämpfung manipulativer synthetischer Medien

Pfeiler II: Aufbau von Infrastruktur

Dieser Abschnitt adressiert die physische Grundlage der KI-Führung:

  • Vereinfachte Genehmigungsverfahren für Rechenzentren, Halbleiterfertigung und Energieprojekte
  • Modernisierung und Ausbau des Stromnetzes mit Fokus auf stabile, steuerbare Energiequellen (inkl. Kernkraft)
  • Wiederaufbau der Halbleiterproduktion in den USA
  • Hochsichere Rechenzentren für Militär- und Geheimdienstanwendungen
  • Fachkräfteoffensive für Infrastrukturberufe
  • Stärkung der Cybersicherheit kritischer Infrastrukturen und Sicherstellung „secure-by-design“-Architekturen
  • Ausbau der Fähigkeiten für Incident Response bei KI-bezogenen Ausfällen

Pfeiler III: Internationale Diplomatie und Sicherheit

Die USA wollen ihre technologische Führung exportieren und geopolitisch absichern:

  • Export des gesamten KI-Technologiestacks an Verbündete
  • Aktive Einflussnahme in internationalen Standardisierungs- und Governance-Gremien
  • Verstärkte Exportkontrollen für Hochleistungsrechner und Halbleitertechnologien
  • Globale Abstimmung bei Technologieschutzmaßnahmen
  • Systematische Bewertung von nationalen Sicherheitsrisiken durch KI-Modelle
  • Biotechnologische Sicherheitsstandards für Forschung und Industrie

Analyse

Der Plan ist in seiner Logik konsistent: Geschwindigkeit vor Vorsicht, nationale Interessen vor globalen Konsensprozessen, direkte Industriekooperation statt langwieriger politischer Kompromisse. Damit schaffen die USA einen klaren Wettbewerbsvorteil – nicht nur technologisch, sondern auch in der geopolitischen Positionierung.

Für Europa birgt dies ein strategisches Dilemma: Der regulatorische Fokus auf Vorsicht und Schutz kann in einem globalen Innovationswettlauf dazu führen, dass entscheidende Wertschöpfungsketten ins Ausland abwandern.

Ausblick: Europäische Handlungsoptionen

Wir werden in einem Folgebericht einen Gegenentwurf entwerfen, der aufzeigt, wie europäische Unternehmen – auch ohne initiale politische Weichenstellung – durch eigene Investitionen, offene Kooperationsmodelle und marktorientierte Allianzen eine dynamische KI-Industrie aufbauen können. Ziel ist es, wirtschaftliche Fakten zu schaffen, die die europäische Politik dazu zwingen, innovationsfreundlichere Rahmenbedingungen zu setzen.

Virtuelles Kraftwerk digital steuern durch Energieorchestrierung – was die Energiewirtschaft von der IT lernen kann

Ich stand vor ihnen mit dem Schlüssel in der Hand – und doch sahen sie nur das Schloss und schüttelten den Kopf. IT-Infrastruktur und Energiewirtschaft haben keine Gemeinsamkeiten? Aber voll: Systeme wie virtuelle Kraftwerke und Techniken aus der Virtualisierung für Cloudsysteme folgen denselben Grundprinzipien. Sie orchestrieren verteilte Ressourcen, passen sich an Bedarfe an und skalieren automatisch.

Der Punkt ist, dass die Energiewirtschaft gerade das Rad neu erfindet. So fühlt es sich zumindest an. Ich bin immer wieder Erstaunt dass viele etwas für unmöglich halten, was seit zwanzig Jahren zum Grundlagenwissen jedes Informatikstudenten im zweiten Semester gehört.

Nur so wird Dezentralität praktikabel: Durch digitale Energieorchestrierung wird aus einer Vielzahl einzelner Erzeuger und Verbraucher ein robustes Gesamtsystem. Der Vorteil liegt in der Resilienz gegenüber Ausfällen, der Effizienz bei schwankender Nachfrage und der Möglichkeit, kleinteilige Infrastruktur wirtschaftlich tragfähig zu betreiben.

Wenn Sie am Ball bleiben wollen und die neusten Entwicklungen einfach, auf Entscheiderlevel erklärt haben wollen, empfiehlt sich ein Abonnement unsere Newsletters – direkt aus Forschung und Anwendung, verständlich aufbereitet für Entscheider.

Problem: Warum klassische Energieinfrastruktur nicht mehr reicht

Die Energiewende bringt eine fundamentale Verschiebung in der Infrastruktur mit sich: Weg von zentralen Kraftwerken, hin zu verteilten Erzeugern, Speichern und Verbrauchern. Diese Systeme lassen sich mit manuellen Eingriffen nicht mehr effizient steuern.

  • Das Netz wird volatiler
  • Der Verbrauch wird kleinteiliger
  • Der Steuerungsbedarf steigt

Ohne digitale Lösungen, die in Nanosekunden die Ressourcenverteilung steuern, droht nicht nur Ineffizienz – es ist gar nicht manuell machbar. Für Versorger, Betreiber, aber auch für institutionelle Investoren drohen also – ganz wie in der Digitalisierung – Berater, Dienstleister und Engineeringteams, die statt bekannte und gut erprobte Lösungen zu adaptieren, das Rad neu erfinden. Und damit alle Kinderkrankheiten, die Nutzer vergrezen

Das ist in der jüngeren, deutschen Ingenieursgeschichte ja mehr als einmal vorgekommen: Die Automobilhesteller hätten die Möglichkeiten, die User Interfaces und moderne User Experience

Was ist ein virtuelles Kraftwerk

Ein virtuelles Kraftwerk ist kein Gebäude aus Beton und Stahl, sondern eine Idee – eine digitale Klammer, die viele kleine, verstreute Energiequellen zu einem großen Ganzen zusammenfasst. Windräder an der Küste, Solarmodule auf Hausdächern im Süden, ein Batteriespeicher in einem Gewerbegebiet, eine Biogasanlage neben einem Bauernhof – all das bleibt physisch voneinander getrennt, wird aber virtuell verbunden, über eine Softwareplattform, die diese Anlagen überwacht, steuert und koordiniert. In Echtzeit fließen Daten zusammen: Wetterprognosen, aktuelle Einspeiseleistungen, Ladezustände, Netzlasten. Was auf den ersten Blick wie ein Flickenteppich dezentraler Stromproduktion wirkt, verwandelt sich unter der Oberfläche in ein fein orchestriertes System.

Die Plattform berechnet im Nanosekundentakt, wer wann wie viel Strom einspeisen oder verbrauchen soll. Nicht nur, um möglichst effizient zu arbeiten, sondern auch, um auf die ständig schwankenden Anforderungen des Stromnetzes zu reagieren – oder auf die Preise an der Strombörse. Die Biogasanlage kann gezielt hochgefahren werden, wenn eine Windflaute bevorsteht, ein Batteriespeicher entlädt sich, wenn die Sonne hinter Wolken verschwindet. So entsteht aus vielen kleinen Unsicherheiten eine überraschende Stabilität.

Und nochmal: Das passiert täglich, nanosekundlich, seit Jahrzehnten

Was früher Großkraftwerken vorbehalten war, wird heute von Algorithmen übernommen: das Gleichgewicht im Netz zu sichern, Angebot und Nachfrage in Einklang zu bringen, Schwankungen auszugleichen, bevor sie spürbar werden. Das virtuelle Kraftwerk ist damit nicht nur ein technisches Konzept – es ist ein neues Narrativ der Energieversorgung: nicht zentral, sondern vernetzt; nicht monolithisch, sondern modular; nicht statisch, sondern lernfähig. Und vielleicht ist gerade das sein größter Fortschritt.

Wie skalierbare Energie funktioniert: Verteilte Systeme, zentral orchestriert

Cloud-Plattformen wie AWS oder Azure bestehen aus zehntausenden Servern. Virtuelle Kraftwerke bestehen aus zehntausenden dezentralen Assets: PV-Anlagen, Batteriespeicher, steuerbare Verbraucher.

Autoscaling durch datenbasierte Steuerung: In der Cloud werden Instanzen automatisch hoch- und heruntergefahren. Im Energiesystem lässt sich genauso automatisiert laden, entladen, puffern oder abschalten. Entscheidend ist nicht die Hardware, sondern die Regelintelligenz.

Prognosebasierte Optimierung

Forecasts, wie man sie in der Cloud für Auslastung verwendet, finden ihre Entsprechung in Wetterdaten, Lastprognosen oder Strompreisindikatoren. Moderne Steuerzentralen beziehen diese Daten automatisiert ein.

Nur mal als Gedanke: Wenn man da noch predictive Analytics – also KI, die in die Zukunft denken kann und heute schon bessere Wettermodelle ermöglicht, als es die Standardmodelle seit Jahrzenten tun.

Orchestrierung statt Einzelsteuerung

In der IT hat man gelernt, dass man Instanzen nicht einzeln steuern kann. Man orchestriert. In der Energie ist das ähnlich: Systeme wie EOS oder proprietäre Leitsysteme koordinieren Stromflüsse, Speicherverhalten und Reaktionszeiten.

EOS ist ein quelloffenes Steuerungssystem, das speziell für dezentrale Energiesysteme entwickelt wurde. Es ermöglicht die intelligente Koordination von Erzeugung, Speicherung und Verbrauch auf Basis aktueller Daten und vordefinierter Regeln. Durch die Offenheit des Systems lassen sich individuelle Anforderungen flexibel integrieren.

Einsichten aus der Praxis: Was wir bei Solar Estate gelernt haben

Für unseren Kunden Solar Estate haben wir ein System entworfen, das die komplexe Betriebslogik von Photovoltaikanlagen in eine digitale Struktur überführt. Eigentumsverhältnisse, Verträge, Ertragsdaten, Wartungszyklen – all das wird nicht mehr manuell verwaltet, sondern fließt in einem integrierten System zusammen. Messwerte und Dokumente, Benachrichtigungen und Investorenberichte – sie greifen ineinander wie Zahnräder in einem still laufenden Uhrwerk.

Das Entscheidende dabei ist nicht die Digitalisierung an sich, sondern ihr Grad an Durchdringung: Die Prozesse steuern sich weitgehend selbst, Personalaufwand sinkt, menschliche Fehler werden zur Randerscheinung, und das, was früher in Excel-Tabellen versteckt war, wird sichtbar – für Betreiber ebenso wie für Kapitalgeber.

Die Architektur, die hinter diesem System steht, hat sich bewährt. Heute setzen wir sie auch dort ein, wo die Anforderungen ähnlich sind: bei Stadtwerken, die ihre dezentralen Anlagen intelligenter verknüpfen wollen, oder bei Betreibern von Quartierspeichern, die nach Effizienz suchen – nicht als Schlagwort, sondern als messbare Praxis.

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt

In vielen Teilen der Energiebranche zeigen sich die Spuren der Geschichte. Systeme, die einst für einzelne Anlagen oder Regionen gebaut wurden, stoßen heute an ihre Grenzen. Sie waren nicht dafür gedacht, zu wachsen – nicht über mehrere Standorte hinweg, nicht mit individuell zugeschnittenen Tarifen, und schon gar nicht in einer Welt, in der Speicher, Netze und Verbraucher automatisch miteinander verhandeln. Doch genau das wird zur Voraussetzung: Skalierung ist kein technischer Luxus mehr, sondern ein struktureller Imperativ.

Die gute Nachricht: Die Mittel, um diese Systeme weiterzudenken, existieren längst. Konzepte aus der modernen IT – modulare Architekturen, offene Schnittstellen, erprobte Open-Source-Werkzeuge – lassen sich auf die Energieinfrastruktur übertragen. Was in der Cloud-Industrie längst Standard ist, beginnt nun, auch im Energiesektor seine Form zu finden. Es geht nicht darum, alles neu zu bauen – sondern Bestehendes so zu öffnen, dass es sich bewegen kann.

Einladung

Wenn Sie aktuell an einem Projekt arbeiten, das wachsen soll – und sich fragen, wie das ohne mehr Personal funktionieren kann: Schreiben Sie uns.

Wir bringen unsere Erfahrungen aus Forschung und Umsetzung ein. Und zeigen, wie sich Energie skalieren lässt. Nicht mit mehr Technik. Sondern mit mehr Intelligenz.

Digitale Effizienz im Ausbau der Energiewende: Wie Solar Estate seinen Vertrieb neu konstruierte

Was passiert, wenn man ein datengetriebenes Vertriebsproblem nicht mit mehr Personal, sondern mit Mathematik und Systemdenken angeht? Die Antwort gibt ein Blick auf die Arbeitsweise von Solar Estate.

Das Problem: Vertriebsprozesse, die mitwachsen sollten – aber nicht konnten

Solar Estate plant und realisiert Photovoltaikprojekte auf Mehrfamilienhäusern in Deutschland. Die Nachfrage ist hoch, das Marktumfeld komplex. Jede Immobilie unterscheidet sich in rechtlicher, technischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Die Folge: Der Aufwand für die Analyse, Bewertung und Angebotserstellung wuchs exponentiell mit dem Projektvolumen. Trotz hoher Nachfrage geriet das Vertriebsteam an Grenzen.

Kern des Problems war eine Exceldatei mit mehreren tausend Feldern und Verknüpfungen, in der alle Aspekte eines Projekts abgebildet wurden. Diese Datei war zwar funktional, aber schwer zu warten, nicht versionierbar und für neue Mitarbeiter kaum verständlich.

Der Umbau: Von implizitem Wissen zur expliziten Struktur

Statt den Vertriebsprozess personell auszuweiten, wurde das Modell selbst zerlegt, abstrahiert und neu strukturiert. Was als Werkzeug zur Projektbewertung begonnen hatte, wurde zu einem logischen Framework weiterentwickelt:

  • Alle Eingabefelder wurden typisiert, normalisiert und mit Abhängigkeiten versehen
  • Berechnungslogiken wurden aus der Datei extrahiert und in modulare Recheneinheiten überführt
  • Der gesamte Prozess wurde als Entscheidungsbaum mit über 100 Pfaden formell abgebildet

Das Ergebnis war ein Framework, das nicht nur die Rechenarbeit übernahm, sondern auch Vertriebsszenarien, Projektkonstellationen und technische Restriktionen in ein einziges Modell integrierte.

Das Resultat: Vertriebszeit halbiert, Skalierbarkeit verdoppelt

Die neue Architektur ermöglicht heute:

  • eine standardisierte Erstbewertung innerhalb weniger Minuten
  • automatisierte Entscheidungsvorschläge für oder gegen Projekte
  • Echtzeit-Anpassung von Finanzierungsmodellen und technischem Zuschnitt
  • ein Rollenmodell, in dem juniorige Vertriebskräfte ohne tiefes Vorwissen sinnvoll arbeiten können

Im Ergebnis wurde die Zeit für eine belastbare Projektbewertung um mehr als 90% reduziert. Noch wichtiger: Das Vertriebssystem ist nun nicht nur effizienter, sondern auch robuster gegen Fehler und besser adaptierbar für neue Rahmenbedingungen.

Ein Beispiel für datengetriebenes Wachstum im Mittelstand

Solar Estate zeigt, wie sich aus einem lokalen Vertriebsproblem eine strukturierende Kraft für die Gesamtorganisation entwickeln kann. Der Umbau des Excelmodells war kein IT-Projekt im engeren Sinne, sondern eine strategische Reaktion auf ein operatives Skalierungsproblem.

Die zugrundeliegende Logik lässt sich verallgemeinern: Wer den impliziten Code seiner Arbeitsweise sichtbar macht, kann ihn automatisieren, modulieren und dauerhaft verbessern.

Ausblick: Von der Datei zum digitalen Produkt

Die Entscheidung, aus einem internen Tool ein formalisiertes Framework zu machen, war kein Selbstzweck. Es öffnet nun die Option, dieses Wissen als Produkt weiterzudenken: für Partnerunternehmen, für andere Regionen, für angrenzende Segmente der Energiewirtschaft.

Solar Estate hat mit diesem Schritt nicht nur seinen Vertrieb restrukturiert, sondern ein Fundament geschaffen, auf dem weitere digitale Werkzeuge entstehen können. Die Energiewende braucht Tempo – und Tempo entsteht dort, wo Komplexität beherrschbar wird.

German Free – ein Qualitätsmerkmal? Was wir Deutschen lernen müssen

„In Asien und den USA kursiert ein neues Qualitätsmerkmal: „German Free“. Gemeint ist nicht die Sprache, sondern ein System, das ohne 300 Formularfelder, ohne 12 Zwischenfreigaben und ohne perfektionistische Obsession auskommt.“ Der Satz stammt aus einem Kundengespräch, das nicht auf Ironie, sondern auf Frustration beruhte. Und er beschreibt einen Trend, der zunehmend auch europäische Unternehmen betrifft – insbesondere im Kontext der digitalen Transformation.

Problem

Deutsche Ingenieurskunst ist nicht das Problem. Aber wenn 90 % Komplexität zu 3 % Effizienz führen, und niemand mehr versteht, was eigentlich gelöst wird, dann stehen wir nicht vor einem Qualitätsproblem, sondern vor einem Strukturproblem. Dieses Strukturproblem betrifft nicht nur technische Systeme, sondern auch die Art, wie wir Arbeit und Zusammenarbeit im Rahmen der digitalen Transformation verstehen. Das Manager Magazin schrieb bereits 2023 über diesen Negativfaktor.

New Work hat wichtige Impulse gesetzt: Mehr Selbstbestimmung, mehr Respekt, weniger Hierarchie. Doch in der Praxis kippt dieses Modell oft in eine neue Form der Beliebigkeit. Das Ideal einer gleichwürdigen Arbeitskultur wird in vielen Fällen zu einem egalitären Wettbewerb um Zustimmung. Oberflächlicher Respekt ersetzt tiefere Verantwortung. Entscheidungen werden vermieden, statt getroffen. Das erinnert an die Kritik von Robert C. Martin: Ohne Struktur kippt jede Organisation in einen Zustand, in dem Beliebtheit mehr zählt als Qualität – ein Risiko, das auch viele Initiativen zur digitalen Transformation betrifft: „After all, Agile is all about egalitarianism. It is a rejection of command and control.“ (In The Large, 2. April 2018)

Kontext & Analyse

Historisch war es sinnvoll, Prozesse zu standardisieren, Qualität in Regeln zu fassen und Fehler durch Planung zu vermeiden. Viele deutsche Unternehmen wurden dadurch weltweit führend. Doch mit der digitalen Transformation verändert sich die Dynamik: Geschwindigkeit, Anpassungsfähigkeit und Nutzungsorientierung werden wichtiger als Regelkonformität.

In technologischen Systemen zeigt sich das besonders deutlich. Komplexität entsteht oft nicht aus fachlicher Notwendigkeit, sondern aus historisch gewachsenen Strukturen, internen Kompromissen und Sicherheitsbedenken. Die Folge: Statt technischer Exzellenz dominieren Absicherungslogik und Schnittstelleninflation. Das Ergebnis wirkt solide, ist aber schwerfällig – ein klarer Hemmschuh für jede digitale Transformation.

Ein Beispiel: Ein Projekt zur Einführung einer neuen Software in einem Mittelstandsunternehmen scheiterte daran, dass jedes Formularfeld durch drei Abteilungen abgestimmt werden musste. Der funktionale Kern war in zwei Wochen programmiert. Die Abstimmungen dauerten neun Monate. Das ist kein Einzelfall, sondern ein Symptom einer bremsenden Strukturlogik im Prozess der digitalen Transformation.

Parallel dazu wird in vielen Organisationen der autoritäre Top-Down-Stil abgelöst durch New-Work-orientierte Ansätze. Doch statt Innovation entsteht oft Orientierungslosigkeit. Denn wo keine strukturellen Vorgaben gemacht werden, entstehen informelle Machtstrukturen. Der Wunsch nach Konsens ersetzt die Fähigkeit zur Priorisierung. Entscheidungen brauchen Zustimmung aller oder passieren gar nicht. Auch das behindert die digitale Transformation.

Optionen / Einsichten

Wir arbeiten bei Kehrwasser und empfehlen das auch unseren Klienten, wenn sie in ihren Teams und Belegschaften digitale Transformation erfolgreich gestalten wollen: einen empirischen Ansatz, der Struktur und Respekt vereint. Es braucht keine importierten New-Work-Konzepte aus Kalifornien. Die europäische Aufklärung kennt bereits einen Begriff, der mehr Tiefe bietet als der verbreitete Respektbegriff: Würde. Würde impliziert Anerkennung – nicht als Gefühl, sondern als strukturellen Anspruch.

Statt zwischen zwei unbefriedigenden Polen zu schwanken – der alten, oft willkürlichen Hierarchie und der neuen, strukturlosen Konsenskultur – braucht es eine dritte Variante: eine, die strukturelle Klarheit schafft, indem sie eindeutig macht, wer was auf welcher Basis entscheidet; die auf empirischer Steuerung beruht, also auf der Frage, was wirkt und was nicht; die technische Modularität als Prinzip begreift, nach dem weniger oft mehr ist; die Verantwortung gegenüber Absicherung priorisiert; und die Anerkennung nicht als oberflächliches Etikett, sondern als verbindliches Prinzip behandelt.

Systeme, die auf diesen Prinzipien beruhen, sind anschlussfähig, wandlungsfähig und nutzerzentriert. Und sie sind frei von der Überfrachtung, die als „German“ kritisiert wird, ohne ihre Stärken zu verlieren. Damit werden sie zum belastbaren Fundament jeder erfolgreichen digitalen Transformation.

Ausblick

„German Free“ wird kein offizielles Label werden. Aber als inoffizielle Kritik trifft es einen Nerv. Es zeigt, dass Qualität heute anders verstanden wird: weniger als Perfektion, mehr als Nutzbarkeit. Organisationen, die das erkennen, können international anschlussfähig bleiben. Die Voraussetzung ist nicht ein KI-System, das alles optimiert. Sondern die Fähigkeit, Würde, Struktur und Vereinfachung als Fundament moderner Zusammenarbeit zu denken – und diese Prinzipien gezielt in die digitale Transformation zu überführen.

Wie KI-Crawler das SEO-Spiel verändern – und was das für Content-Strategien bedeutet

Wir wollten es genau wissen. Ob sich generative KI-Modelle überhaupt gezielt beeinflussen lassen – durch Inhalte, die man online verfügbar macht. Ob es also eine Art neues SEO gibt, das nicht mehr auf Rankings in Suchmaschinen zielt, sondern darauf, Teil des aktiven „Wissens“ eines Sprachmodells zu werden. Die ernüchternde wie interessante Antwort vorweg: Es ist möglich, aber mit erheblichem Aufwand verbunden. Und es könnte sich lohnen.

Problem: Wenn Wissen im Modell statt auf der Website steckt

Die klassische Suchmaschinenoptimierung richtet sich an Systeme wie Google oder Bing, die Inhalte indexieren und ranken. Doch mit dem Aufstieg generativer Modelle wie GPT-4, Gemini oder Claude verschiebt sich die Dynamik: Nutzer\:innen stellen Fragen direkt an das Modell, oft ohne zu wissen, woher die Antwort stammt. Sichtbarkeit entsteht nicht mehr nur durch Platz 1 im Suchergebnis, sondern durch Aufnahme in die Trainingsdaten oder Retrieval-Systeme. Für Contentproduzierende stellt sich damit eine neue Frage: Wie wird man Teil dieser Antwortmaschine?

Kontext & Analyse: Wie KI-Modelle zu ihrem Wissen kommen

Große Sprachmodelle werden auf Milliarden von Webseiten, Dokumenten und Codequellen trainiert. Für die Pretraining-Phase werden Crawler eingesetzt, die öffentlich zugängliche Inhalte indexieren. Diese Inhalte müssen nicht gut gerankt sein, aber sie müssen auffindbar, verlinkt und maschinenlesbar sein. Einige Modelle nutzen ergänzend Retrieval-Augmented Generation (RAG): Dabei wird zum Zeitpunkt der Anfrage aktiv auf externe Datenquellen zugegriffen.

Wir haben in unserem Projekt testweise mehrere Domains mit hochwertigen Fachinhalten ausgestattet, strukturierte Metadaten genutzt, die Inhalte gezielt verlinkt und synthetischen Traffic erzeugt. Ziel war es, herauszufinden, ob die Inhalte in RAG-gestützten Systemantworten oder sogar direkt im Modell auftauchen.

Ergebnisse: Machbar, aber nur mit Masse

Einzelne Artikel, selbst wenn gut geschrieben, gut verlinkt und technisch optimiert, wurden nur in Ausnahmefällen erkennbar eingebunden. Erst eine verteilte, systematisch orchestrierte Kampagne – mit Dutzenden Domains, hunderten Beiträgen, koordiniertem Crosslinking und kontinuierlichem Traffic – führte zu messbaren Effekten. In Promptantworten von GPT-4 tauchten Elemente unserer Inhalte auf, teilweise paraphrasiert, manchmal wortwörtlich. Dabei wurde klar: Die Modelle „wissen“ nicht – sie haben Textmuster gespeichert. Wer diese Muster oft genug und konsistent in öffentliche Räume einspeist, kann Sichtbarkeit im Modell erzeugen.

Einsichten: Was folgt für Content-Strategien?

  • Klassisches SEO bleibt relevant, aber sollte ergänzt werden durch „AI Visibility Optimization“.
  • Inhalte müssen nicht nur für Menschen lesbar sein, sondern für Crawler logisch strukturiert und verlinkt.
  • Verteilte Strategien (z. B. mit Mikroseiten, Partnernetzwerken, Reposting mit Attribution) könnten in Zukunft gezielter eingesetzt werden, um KI-Wissen zu prägen.
  • Authentischer, substanzreicher Content hat weiter Chancen: Sprachmodelle sind weniger empfindlich für manipulative Strategien als klassische Suchmaschinenalgorithmen.

Ausblick: Ein zweiter Blick auf den Wert von Inhalten

Wenn große Modelle zu Gatekeepern für Alltagswissen werden, entscheidet ihre Trainingsbasis mit über die Sichtbarkeit von Argumenten, Fachpositionen und Deutungsmustern. Das öffnet Raum für neue Strategien – aber auch für Hoffnung: Dass gute Inhalte, echte Expertise, klug strukturierter Text wieder an Bedeutung gewinnen. Nicht, weil sie perfekt optimiert sind, sondern weil sie in einem Meer von Redundanz auffallen.

Effiziente Digitalisierung: Unsere Ergebnisse zur Erreichung von 90% Backendautomatisierung

Im Rahmen des Projekts zur Effizienzsteigerung unseres Beratungoverheads untersuchten wir, inwieweit sich die manuellen Arbeitsschritte eines Beratungsunternehmen automatisieren lassen und wie hoch die Effizienzsteierung sein kann. Die Analyse zeigt, dass durch gezielte Automatisierung eine bis zu vierfache Steigerung der operativen Leistung möglich ist – bei gleichbleibender personeller Besetzung. Grundlage dieser Erkenntnis war die systematische Erhebung von Arbeitsabläufen in zehn Beratungsunternehmen sowie die prototypische Umsetzung eines digitalen Workflows. Dieser Bericht dokumentiert das methodische Vorgehen, die beobachteten Effekte und die daraus abgeleiteten Empfehlungen für die Praxis.

Beratungsleistungen, die einst in tagelanger Handarbeit erbracht wurden – Statusberichte, Projektpläne, KPI-Dashboards oder Rechnungen – lassen sich zunehmend durch digitale Werkzeuge automatisieren. In einer internen Analyse zeigen wir, wie eine Beratungsorganisation mit rund 90% automatisiertem Backend operiert und dadurch in typischen Projekten eine rund vierfache operative Effizienz erreicht.

Analyse eines Systemwechsels

In den vergangenen Jahren wurde ein Großteil unserer Backofficeprozesse systematisch identifiziert, katalogisiert und durch eine Kombination aus Scripting, Machine Learning und Sprachmodellen automatisiert. Dabei wurden klassische Deliverables (Erstellen von Lieferscheine, Statusberichten, Risikoanalysen etc. – s.u.) durch automatisierte Varianten ersetzt:

  • Statusberichte: Echtzeitdaten werden direkt aus Projektsystemen gezogen
  • Projektpläne: Synchronisation mit Ressourcenverwaltung statt Excel-Pflege
  • Strategie-Folien: generiert aus Simulationen, unterschiedliche Ausgänge simulierbar
  • Risikoanalysen: datengetrieben, aus historischen Mustern extrahiert, auch mittels predictive AI z.B. bei der Aufwandsschätzung
  • Forecasts & Szenarien: auf Knopfdruck modellierbar
  • Rechnungsstellung: automatisiert bei Meilenstein-Erreichung

Alle Prozesse unterliegen dabei einem systemischen Monitoring.

Beacon: Ein Werkzeug zur Automatisierungsdiagnose

Zur Messung wurde ein internes Tool entwickelt, das Prozessdurchlaufzeiten analysiert – vom Trigger (z. B. Nutzerinteraktion oder Systemereignis) bis zum Sink (z. B. Datenbankeintrag oder Output). Es protokolliert:

  • welche Prozesse existieren
  • welche davon automatisierbar sind
  • welche bereits automatisiert wurden
  • ob und wie zuverlässig sie funktionieren
  • wie lange die Prozesse im Schnitt benötigen

Dieses Tool dient nicht nur der internen Prozessoptimierung, sondern wird ab sofort auch in externen Transformationsprojekten zur Diagnostik eingesetzt. Damit können Unternehmen erstmals systematisch beurteilen, wie digital ihre operativen Prozesse tatsächlich sind.

Technologischer Unterbau

Die eingesetzte Technologie umfasst mehrere Schichten. Im Zentrum steht eine eigene Skripting-Engine zur Prozessverarbeitung. Für Mustererkennung in historischen Datenbeständen kommen klassische Machine-Learning-Modelle zum Einsatz. Sprachmodelle (LLMs) ergänzen das Setup, vor allem bei textlastigen Aufgaben wie der automatisierten Erstellung von Entscheidungsvorlagen, der Extraktion von Aussagen aus Dokumenten oder dem Erkennen und Bewerten von Feedback z.B. im Change Management bei der Einführung neuer Technologie, als Mittel um die Akzeptanz der neuen Lösung im Unternehmen zu messen.

Die Kombination dieser Technologien erlaubt es, repetitive Arbeitsschritte nicht nur zu beschleunigen, sondern vollständig zu eliminieren. Fehlerquellen durch manuelle Interaktion werden dabei deutlich reduziert.

Auswirkungen auf Effizienz und Organisation

Die quantitativen Auswirkungen sind erheblich: In Projekten mit ähnlichem Umfang konnten bei nahezu identischem Scope die Bearbeitungszeiten um den Faktor 3 bis 5 reduziert werden. Der Schlüssel liegt dabei nicht in der Einzelbeschleunigung, sondern in der Eliminierung ganzer und mehrerer Arbeitsschritte.

Die qualitative Wirkung betrifft vor allem die Arbeitskultur. Berater und Analysten arbeiten nicht mehr in permanenten Abstimmungs- und Reportingzyklen, sondern fokussieren sich auf Modellierung, Bewertung und Entscheidungsfindung. Die Automatisierung verschiebt die Wertschöpfung von administrativen zu gestalterischen Tätigkeiten.

Veränderte Skaleneffekte

Ein hoher Automatisierungsgrad verändert nicht nur die interne Arbeitsteilung, sondern auch die betriebswirtschaftliche Struktur von Beratung. Wo früher jeder neue Auftrag neue Personalkapazitäten erforderte, entstehen heute skalierende Systeme. Die operative Marge verbessert sich – gleichzeitig sinken die Einstiegskosten für Kunden.

Dieser Wandel wirkt sich letztlich auch auf das Marktdesign aus: Kleinere Beratungseinheiten mit technologischer Spezialisierung sind in der Lage, komplexe Projekte zu übernehmen, für die früher ganze Großorganisationen notwendig waren.

Fazit

Die konsequente Digitalisierung interner Prozesse verändert die Beratungsarbeit tiefgreifend. Automatisierung ist kein ergänzendes Werkzeug, sondern ein struktureller Hebel, der Geschwindigkeit, Präzision und Skalierbarkeit zugleich ermöglicht. Beratungen, die sich darauf ausrichten, agieren effizienter, transparenter und in kürzeren Zyklen – mit spürbarem Nutzen für Mitarbeiter, Kunden und Projektökonomie.


Quellen

  1. McKinsey Global Institute: Harnessing Automation for a Future That Works¹
  2. Gartner: Top Strategic Technology Trends for 2021: Hyperautomation²
  3. Statistisches Bundesamt (Destatis): Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen 2023³
  4. William J. Baumol: The Cost Disease, Yale University Press 2012⁴

Menschen hängen an ihrer monotone Arbeit – und was Organisationen daraus lernen können

In vielen Unternehmen sind es nicht die kreativen Sonderprojekte, die langfristig laufen, sondern die scheinbar langweiligen Routinen. Prozesse, deren Abläufe seit Jahren feststehen, werden von denselben Mitarbeitenden mit bemerkenswerter Stabilität ausgeführt. Die Fluktuation ist niedrig, die Effizienz hoch. Irritierend nur: Warum scheint es für viele ein Vorteil zu sein, wenn sich möglichst wenig verändert?

Problem: Innovationsdruck trifft auf Widerstand

Gerade im Kontext von Change Management, Digitalisierung und zunehmender Automatisierung erleben Organisationen, dass Teile der Belegschaft sich bewusst gegen Veränderung stellen. Nicht aus Trägheit, sondern aus Überzeugung. Während Innovationsabteilungen neue Tools einführen oder Gamification für neue Arbeitsformen erproben wollen, verteidigen Teams in Verwaltung, Buchhaltung oder Bestands-IT ihre etablierten Vorgehensweisen mit Nachdruck. Innovation wird als Risiko gelesen, nicht als Chance. Dies erschwert nicht nur Modernisierungsprojekte, sondern fördert auch verdeckte Demotivation.

Zweifel an Maslow – Sicherheit als Trugschluss?

Nach der Bedürfnispyramide von Maslow suchen viele Menschen primär nach Stabilität. Repetitive Aufgaben geben Sicherheit, Vorhersehbarkeit und Kontrolle – gerade in Lebensphasen mit hoher externer Belastung. Doch diese Sicherheit ist nicht immer intrinsisch gewollt. Vielmehr lässt sich beobachten, dass Menschen sich mit dem zufrieden geben, was ihnen die Umstände als machbar erscheinen lassen. Nicht aus Zufriedenheit, sondern aus einem Mangel an Mut.

Die Annahme, dass Stabilität ein grundlegendes Bedürfnis sei, lässt sich hinterfragen. Moderne Gesellschaften zeigen wenig kollektiven Mut: Innovation wird skeptisch beäugt, Risikobereitschaft sanktioniert. Die stabile Popularität konservativer Parteien in demokratischen Gesellschaften deutet strukturell auf diese kulturelle Präferenz für Sicherheit hin – auch wenn das kein kausaler Beleg ist. Es bleibt Raum für die These: Es sind nicht die Menschen, die grundsätzlich nach Sicherheit streben, sondern Gesellschaften, die Sicherheit zum höchsten Gut erklären – und dadurch Mut entwerten.

Ready statt ruhig

Eine alternative Perspektive wäre: Sicherheit bedeutet nicht Ruhe, sondern Bereitschaft. Wer „ready“ ist – vorbereitet, kompetent, beweglich –, erlebt Veränderung nicht als Gefahr, sondern als Bestandteil des Normalen. In einer solchen Kultur würde Innovation nicht stören, sondern implizit dazugehören. Das könnte erklären, warum in Kontexten mit starkem psychologischen Sicherheitsgefühl (etwa in resilienten Teams) auch komplexe Veränderungsprozesse produktiv verlaufen. Ein solches Mindset zu fördern – auch im Hinblick auf Automatisierung, digitale Transformation und neue Führungsmodelle – ist zentral für zukunftsfähige Organisationen im Mittelstand.

Flow ohne Innovation

Csikszentmihalyi (1990) beschreibt Flow als Zustand zwischen Unter- und Überforderung. Auch repetitive Aufgaben können Flow erzeugen – etwa wenn sie mit hoher Kompetenz ausgeführt werden. Menschen mit geringem Autonomiebedürfnis erleben Routinejobs häufig als befriedigend, solange die sozialen und strukturellen Bedingungen stimmen (Warr, 2002).

Boreout als Grenzfall

Die Forschung zu Boreout (Stock-Homburg & Werder, 2017) zeigt jedoch: Wird Routine zur Dauerunterforderung, entstehen psychosomatische Beschwerden, Zynismus und innerer Rückzug. Die Grenze ist individuell: Was für den einen stabilisierend wirkt, kann für andere zur psychischen Belastung werden.

Sozialisierung und Organisation

Organisationen sind oft auf Reproduktion ausgelegt. Karl Weick (1995) beschreibt sie als Systeme, die Unsicherheit reduzieren. Kreative Abweichung wird schnell als Störung codiert. Über Jahre gewachsene Routinen erhalten Status und Schutzmechanismen. Wer sie infrage stellt, riskiert soziale Sanktion. Innovation wird dadurch nicht nur strukturell, sondern auch kulturell ausgebremst – insbesondere dort, wo kein wirksames Tooling für gute Arbeit und keine Strategien zur Begleitung digitaler Transformation etabliert sind.

Exploitation vs. Exploration

Benner & Tushman (2003) zeigen in ihrer Arbeit zur Ambidextrie, dass viele Organisationen ihre Ressourcen auf „Exploitation“ konzentrieren – also auf die Optimierung bestehender Prozesse. „Exploration“ – das Ausprobieren neuer Ideen – wird dagegen als ineffizient und risikobehaftet bewertet. Mitarbeitende internalisieren diese Bewertung. Wer sich in Schema-F-Aufgaben sicher fühlt, riskiert durch Innovation den eigenen Status.

Einsichten für die Praxis

  • Nicht jeder will Innovation. Stabilität ist für viele ein funktionales Arbeitsmotiv, kein Defizit.
  • Routine ist nicht gleich Langeweile. Für manche Menschen ist sie Voraussetzung für Konzentration, Flow und Selbstwirksamkeit.
  • Organisationen verstärken diese Muster. Über Belohnungssysteme, implizite Normen und Mikropolitik wird Kontinuität oft stärker gefördert als Innovation.
  • Mut ist kein Persönlichkeitsmerkmal, sondern ein Systemphänomen. Organisationen müssen nicht nur Räume für Innovation schaffen, sondern auch den Mut ermöglichen, sie zu betreten.
  • Kulturwandel und Automation gehören zusammen gedacht. Ohne kulturelle Arbeit verpufft technologische Erneuerung – gerade in Transformationsprozessen in der Führung und Digitalisierung.

Wer kulturelle Veränderung will, muss diese Systemeffekte berücksichtigen. Es reicht nicht, Innovationsfreude zu postulieren – man muss auch Sicherheit für die mitnehmen, die sich in der Stabilität eingerichtet haben.

Ausblick: Anschlussfragen

Wie lassen sich Routinen erhalten, ohne Innovation zu blockieren? Welche Rolle können partizipative Formate spielen, um Risiken für Veränderung sozial abzufedern? Und: Was wäre eigentlich eine Organisation, die beides kann – kontinuierliche Exploitation und selektive Exploration? Die Antworten darauf liegen nicht in neuen Tools, sondern im Design organisationaler Bedingungen.


Quellen:

  • Benner, M. J., & Tushman, M. L. (2003). Exploitation, exploration, and process management.
  • Csikszentmihalyi, M. (1990). Flow: The Psychology of Optimal Experience.
  • Demerouti, E., Bakker, A. B., Nachreiner, F., & Schaufeli, W. B. (2001). The Job Demands-Resources Model.
  • Stock-Homburg, R., & Werder, S. (2017). Boreout. Ursachen und Konsequenzen von Unterforderung.
  • Warr, P. (2002). Psychology at work.
  • Weick, K. E. (1995). Sensemaking in Organizations.

Wirtschaftlichkeit der Prozessautomatisierung? Ein kostenfreies Tool für datengetriebene Entscheidungen

Wo Digitalisierung blockiert – und wie ein einfacher ROI-Rechner weiterhelfen kann

Die Digitalisierung im Mittelstand kommt vielerorts nicht recht voran.

In den Medien ist der Schuldige schnell gefunden: die Politik, die Behörden, die Bürokratie. Das bringt Aufmerksamkeit, und die Bevölkerung findet ihren Sündenbock. Doch in den Projekten, die wir begleiten, zeigt sich oft, dass es ganz andere Gründe gibt, warum es nicht weitergeht. Wir beobachten dies auch in den Daten, in Gesprächen mit Entscheidern – und nicht zuletzt in unseren eigenen Versuchen, Automatisierung planbar und transparent zu machen.

Dabei mangelt es selten an technischem Potenzial. Was fehlt, ist Klarheit: Klarheit über den Stand der Dinge und über das, was mit wenig Aufwand schon heute möglich wäre. Diese Klarheit kann mühselig selbst verschafft werden (Tracking, Befragung, Statusmeetings, Changemanagement etc.), doch dafür ist oft der kurzfristige Nutzen einer einzelnen Maßnahme zu gering.

Warum viele Digitalisierungsprojekte nicht starten

Die Gründe dafür sind vielfältig – und oft verständlich. Automatisierung wird noch immer als Risiko für Arbeitsplätze gesehen. Wer Verantwortung trägt, denkt in Budgets, in Teams und an mögliche Widerstände. Das führt dazu, dass selbst dort, wo klar messbare Effizienzgewinne möglich wären, Automatisierung hinausgezögert oder gar nicht erst geprüft wird.

Ein weiterer, weniger sichtbarer Grund: Vielen Entscheidern fehlt schlicht der Überblick. Welche Prozesse laufen bereits teilautomatisiert? Welche könnten mit einfachen Mitteln automatisiert werden – etwa durch Apps oder Hintergrunddienste, die heute noch manuell gepflegte Aufgaben übernehmen? Wo ist der Nutzen groß genug, um sich mit begrenzten Ressourcen zu lohnen?

Transparenz als Voraussetzung für Fortschritt

Seit über einem Jahr forschen wir an der Software Beacon, mit der Unternehmen den Stand ihrer Digitalisierung selbstständig erfassen, dokumentieren und steuern können – unabhängig von Beratern, Dienstleistern oder Agenturen. Ein Kernproblem, das wir immer wieder gesehen haben: Der wirtschaftliche Nutzen von Automatisierung bleibt in der frühen Planungsphase oft abstrakt. Deshalb haben wir nun ein Teilmodul aus Beacon öffentlich zugänglich gemacht, mit dem sich ein Überblick über die möglichen, jetzt automatisierbaren Prozesse verschaffen lässt, und gleich je Prozess der Return on Investment mit dem dazugehörigen ROI-Rechner für Prozessautomatisierung berechnen lässt.

Ein Werkzeug für erste Einblicke

Dieser kostenlose Rechner richtet sich an Entscheiderinnen und Entscheider, die wissen wollen:

Wie viel kostet uns ein manueller Prozess – und wann würde sich eine Automatisierung lohnen?

Die Eingabe ist bewusst einfach gehalten: Dauer, Häufigkeit, Fehleranfälligkeit und geschätzter Automatisierungsaufwand reichen aus, um erste Szenarien zu berechnen.

Der Rechner kann zwar keine vollständige Analyse ersetzen. Aber er schafft ein Bewusstsein für wirtschaftlich machbare Potenziale – dort, wo sie bisher oft übersehen werden.

Warum kleine Prozesse oft übersehen werden – und warum sie doch wichtig sind

In unserer eigenen Entwicklungsarbeit mit Beacon wurde schnell klar:

Auch kleine Prozesse bergen Einsparpotenzial.

Viele wiederholen sich täglich, wöchentlich – oft sind es Aufgaben, die nur wenige Stunden pro Woche binden. Zu wenig, um isoliert betrachtet eine sofortige Automatisierung zu rechtfertigen. Doch in Summe sieht das anders aus.

So arbeiten wir als Nächstes daran, Beacon und den ROI-Rechner weiterzuentwickeln, sodass künftig eine individuelle Prozesspalette für ein Unternehmen zusammengestellt werden kann und daraus dann automatisch die sinnvollste Kombination von Automatisierungen priorisiert werden kann. Auch lässt sich dann so das gesamte Einsparpotenzial berechnen und der gesamte Break-Even-Point bestimmen. Weiterhin wird es dann möglich sein, eine Automatisierungs-Roadmap generieren zu lassen. In Beacon werden sich dann die Fortschritte ablesen lassen.

Die bereits aktuellen Möglichkeiten von Beacon, automatisierte Tests der einzelnen Prozesse zu erstellen, um deren Performance und Funktion sicherzustellen, werden ebenfalls in diese Palettenfunktion integriert.

Fazit: Digitalisierung braucht bessere Daten – und weniger Bauchgefühl

Wer Digitalisierung als reines Kulturthema versteht, übersieht das Entscheidende:

Sie wird entscheiden, ob sich Unternehmen im Wettbewerb halten können. Weltweit automatisieren Unternehmen – ihre Wirkung zeigt sich dort, wo Prozesse strukturiert verbessert werden – messbar und nachvollziehbar.

Wir arbeiten mit Beacon daran, dass die Strukturierung, Priorisierung, Vergleichbarkeit und Nachvollziehbarkeit von Automatisierungsprozessen erheblich vereinfacht wird.

Wir berichten hier transparent über unsere Erkenntnisse – auch über die Hindernisse, über Widersprüche und Sackgassen. Denn Fortschritt entsteht nicht aus Perfektion, sondern aus iterativem Verstehen.

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SAFe Scrum und die Entkernung des agilen Mindsets: Eine sachliche Analyse

Wenn ein Framework das agile Arbeiten so weit „strukturiert“, dass kaum Raum für echte Iteration bleibt, wird es Zeit, genauer hinzusehen. Der Begriff „agil“ ist vielerorts noch präsent, doch die zugrundeliegende Praxis gleicht immer seltener dem, was einst als agiles Mindset gedacht war. SAFe steht dabei exemplarisch für diese Entwicklung.

Problem: Agile in der Umklammerung administrativer Systeme

In vielen Unternehmen ist „Agile“ heute nicht mehr als ein neues Etikett auf alten Steuerungsmodellen. Der ursprünglich aus der Softwareentwicklung stammende Versuch, Komplexität iterativ und empirisch zu beherrschen, wurde in zahlreichen Fällen überlagert von administrativen Denkschulen, insbesondere aus dem mittleren Management.

Das Ergebnis ist ein systematischer Bedeutungswandel: Selbstorganisation wird zum Mittel, um Verantwortung nach unten zu delegieren, ohne reale Entscheidungsspielräume zu geben. Transparenz wird zur Kontrolle, nicht zur Erkenntnis. Und empirisches Vorgehen wird durch vorgegebene „Best Practices“ ersetzt.

Kontext & Analyse: Die Entwicklung von Agile hin zu SAFe

Agile entstand 2001 mit dem „Manifesto for Agile Software Development“. Die dort formulierten Werte waren bewusst gegen klassische BWL-getriebene Projektsteuerung gerichtet: Interaktion statt Prozesse, funktionierende Software statt Dokumentation, Zusammenarbeit statt Vertragsverhandlung, Reagieren statt Planbefolgen.

Frameworks wie Scrum oder XP übernahmen diese Haltung in strukturierter Form. Doch mit dem Wachstum der agilen Bewegung entstand Druck, diese Konzepte in großen Organisationen zu skalieren. So entstand unter anderem SAFe (Scaled Agile Framework), das heute in vielen Konzernen eingesetzt wird.

SAFe bringt ein strukturiertes Rollenmodell, Planungszyklen, Synchronisation über „Agile Release Trains“ und umfangreiche Artefakte mit sich. Die offizielle Dokumentation beschreibt dies als „Lean-Agile approach at enterprise scale“ (scaledagileframework.com).

Doch Kritiker wie Robert C. Martin und Dave Farley weisen darauf hin, dass dieser Ansatz in der Praxis oft zu einer Re-Administrierung führt, die den eigentlichen Kern agiler Methoden entwertet (Clean Agile, 2019; Modern Software Engineering, 2022).

Zentrale Kritikpunkte sind unter anderem, dass durch Planungsdogmen ein faktisches Experimentierverbot entsteht, da anstelle iterativer Entwicklung die Planung auf Programmebene dominiert. Teams sollen sich selbst steuern, jedoch innerhalb enger Vorgaben und unter Beobachtung von Personen mit formaler Entscheidungsmacht. Der Begriff „PO“ ersetzt zwar formal den Projektleiter, ändert jedoch nichts an der zugrundeliegenden Machtausübung. Darüber hinaus entsteht durch zahlreiche Rollen und Meetings ein Bild von Agilität, das empirisch kaum wirksam wird, sondern vielmehr Komplexität simuliert.

Diese Phänomene werden unter dem Begriff Dark Agile diskutiert: Ein Zustand, in dem die Terminologie agiler Methoden beibehalten wird, ihre Prinzipien aber ausgehöhlt sind.

Optionen & Einsichten: Rückkehr zum empirischen Arbeiten

Unternehmen, die weiterhin vom agilen Denken profitieren wollen, müssen sich weniger mit Frameworks als mit Denkmodellen auseinandersetzen. Zentral ist dabei, dass Entscheidungen auf Basis von Hypothesenbildung, Experimenten und gemessenen Ergebnissen getroffen werden. Auch nicht-technische Rollen sollten Grundprinzipien wissenschaftlicher Arbeitsweise verinnerlichen, etwa die systematische Beobachtung, die saubere Ableitung von Maßnahmen sowie die Offenheit für Korrektur. Das erfordert eine andere Haltung gegenüber Fehlern und Unsicherheit – eine Haltung, die eher im Engineering als in administrativen Routinen zu finden ist.

Amazon bezeichnet diesen Modus als Truth Seeking Mode. Andere Unternehmen sprechen von Evidence-Based Management. Dabei ist der Begriff „Agile“ nicht zwingend erforderlich. Ein Wording, das stärker auf das zugrundeliegende Prinzip verweist, könnte hilfreich sein – etwa durch Begriffe wie Empirical Thinking, Empirical Management, Empirical Decision Making oder Empirical Development. Diese Terminologie legt den Fokus dort hin, wo Agile ursprünglich ansetzen wollte: auf ein Denken in Hypothesen, Lernen und systematischer Verbesserung.

Ausblick: Die Zukunft liegt nicht in Frameworks, sondern in Prinzipien

Ob Agile, Lean, Scrum oder SAFe: Keines dieser Modelle kann nachhaltige Ergebnisse liefern, wenn sie nicht auf einem geteilten Verständnis für empirisches Arbeiten beruhen. Derzeit ist zu beobachten, dass viele Organisationen bei ausbleibendem Erfolg nicht das Framework hinterfragen, sondern „Agile“ pauschal abschreiben.

Wer das vermeiden will, sollte jetzt investieren: in Aufklärung, in methodisches Training, in kritisches Denken. Und in die Bereitschaft, Verantwortung nicht nur umzubenennen, sondern tatsächlich zu teilen.

Cloud oder eigener Server? Wann man sich noch für eigene Hardware entscheidet

In vielen IT-Projekten beobachten wir eine wiederkehrende Erwartung: Die Cloud soll nicht nur Kosten senken, sondern auch Flexibilität, Sicherheit und Zukunftsfähigkeit garantieren. Doch diese Annahme ist häufig zu pauschal. Die Entscheidung für oder gegen Cloud-Dienste muss differenziert getroffen werden, insbesondere im Kontext europäischer Anforderungen an Datenschutz, Betriebssicherheit und wirtschaftliche Unabhängigkeit.

Fehlannahmen in der Entscheidungsfindung

Für Entscheider:innen im Mittelstand stellt sich zunehmend die Frage, ob der eigene Unternehmensserver durch eine Cloud-Lösung ersetzt werden sollte. Während Anbieter und Beratungen häufig ein klares „Pro Cloud“ vertreten, bleiben wichtige Differenzierungen aus. Die Folge sind Fehlentscheidungen: Überhöhte Betriebskosten, Abhängigkeiten von Dritten (Vendor Lock), regulatorische Unsicherheit oder unzureichende Performance.

Was ist Cloud, was ist On-Premise?

Auch wenn es sich mittlerweile herumgesprochen hat: Unter dem Begriff „Cloud“ versteht man IT-Dienste, die über das Internet bereitgestellt werden – meist durch spezialisierte Anbieter mit Rechenzentren an verschiedenen Standorten. Andere erklären es seit Jahren (IBM – Was ist Cloud Computing?). Typische Beispiele sind Microsoft Azure, Amazon Web Services (AWS) oder europäische Anbieter wie IONOS oder Scaleway. Statt eigene Server zu betreiben, mietet das Unternehmen Rechenleistung, Speicherplatz oder Software flexibel dazu. Der große Vorteil: Skalierung ist innerhalb von Minuten möglich. Auch die Wartung der Systeme liegt beim Anbieter.

On-Premise (kurz: On-Prem) beschreibt dagegen eine IT-Architektur, bei der Server und Software im eigenen Unternehmen betrieben werden. Das Unternehmen ist selbst für Betrieb, Wartung, Updates und Sicherheit verantwortlich – behält aber auch die volle Kontrolle über seine Daten und Infrastruktur. Investitionen erfolgen vorab und sind planbarer. Die Daten verlassen das Unternehmensgelände nicht, was in sicherheitskritischen Szenarien ein entscheidender Vorteil sein kann.

Wann Cloud die bessere Wahl ist

Cloud-Lösungen sind sinnvoll, wenn der Bedarf an Rechenleistung stark schwankt, beispielsweise bei datenintensiven Kampagnen oder in der Entwicklung von Softwareprodukten. Auch für international verteilte Teams, die auf eine gemeinsame Infrastruktur zugreifen, bietet die Cloud klare Vorteile. Ebenso können Unternehmen profitieren, die standardisierte Anwendungen nutzen möchten, etwa für E-Mail, CRM oder Kollaboration. Besonders relevant ist dies, wenn IT-Ressourcen im Unternehmen knapp sind oder Infrastruktur nicht zum Kerngeschäft zählt. In diesen Fällen reduziert die Cloud Komplexität.

Wann On-Premise notwendig oder sinnvoll bleibt

On-Premise bleibt jedoch relevant, wenn besonders sensible Daten verarbeitet werden, etwa im Gesundheitswesen, in Forschungseinrichtungen oder im Finanzsektor. Auch gesetzliche Auflagen können eine vollständige Datenhoheit verlangen, beispielsweise bei Vergabeverfahren oder kritischer Infrastruktur. Bei industriellen Maschinensteuerungen oder Anwendungen mit niedrigen Latenzanforderungen ist eine lokale Datenverarbeitung oft unabdingbar. Ebenso kann es aus ökonomischer Sicht sinnvoll sein, langfristig auf On-Premise zu setzen, wenn dadurch Kosten planbarer bleiben und Abhängigkeiten reduziert werden.

Rechtliche Rahmenbedingungen in Europa

Besonders in Europa ist der regulatorische Rahmen ein zentrales Entscheidungskriterium. Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verlangt, dass personenbezogene Daten sicher und rechtskonform verarbeitet werden. Für viele US-basierte Cloudanbieter gilt der sogenannte „Cloud Act“, der im Zweifel US-Behörden Zugriff auf Daten ermöglicht – auch wenn diese auf europäischen Servern gespeichert sind. Das führt zu juristischer Unsicherheit. Europäische Anbieter wie IONOS, Cleura oder Hetzner bieten hier eine Alternative, wenn auch mit zum Teil eingeschränktem Funktionsumfang gegenüber den US-Plattformen.

Hybride Modelle als strategische Option

Die Entscheidung zwischen Cloud und On-Premise ist keine ideologische, sondern eine strategische. Wer Prozesse differenziert betrachtet, erkennt: Es geht nicht um ein „entweder–oder“, sondern oft um ein „sowohl–als auch“. Hybride Modelle – also die Kombination aus Cloud und On-Premise – können spezifische Vorteile vereinen, erfordern aber eine durchdachte Architektur und klare Zuständigkeiten.

Fazit: Einzelfallbewertung statt Trendfolge

Für Unternehmen im Mittelstand ist entscheidend, nicht blind dem Trend zu folgen. Besser ist es, den tatsächlichen Nutzen je Anwendungsfall zu bewerten – und bewusst zu entscheiden, wo Kontrolle, wo Skalierbarkeit und wo Regulierung den Ausschlag geben.